Ergänzende Vorlesung im WS2004/2005:

7.    Interaktionen und die Pathogenese von Infektionskrankheiten!

 

7.1.             Möglichkeiten der Interaktion zwischen Pro- und Eucaryonten

Bezüglich des Zusammenlebens von Mikro- und Makroorganismen gibt es ein vielfältiges Spektrum von Beziehungen. Im einfachsten Fall beobachtet man eine Koexistenz ohne dass einer der beiden „Parteien“ einen Vor- oder Nachteil hat. Hier wären bei oberflächlicher Betrachtung die Mikroorganismen der à physiologischen Flora zu nennen, die jedoch bei differenzierter Betrachtung dem Makroorganismus einen Vorteil einbringen. Durch ihre Präsenz stellt die physiologische Flora eine Barriere gegenüber eindringenden Mikroorganismen dar. Erleidet einer der beiden Partner durch den anderen einen Schaden, so ist der schädigende Partner der Parasit.

Wenn beide Partner einer Beziehung Vorteile genießen, spricht man von einer Symbiose. Die wohl engste Symbiose im Lauf der Evolution sind Cyanobakterien bzw. Eubakterien mit Eucaryonten-Vorläufer eingegangen. Durch stabile Integration der Cyanobakterien entwickelten sich die Vorläufer der heutigen Pflanzenzellen, wobei die Cyanobakterien die Position der heutigen Chloroplasten einnehmen und damit der Pflanze überhaupt erst die Möglichkeit zur Kohlenstoffassimilation (Photosynthese) geben (Grundlage für die Entwicklung höheren Lebens auf der Erde). Die Eubakterien entwickelten sich zu Mitochondrien, die im Laufe der Evolution den gesamten Energiestoffwechsel der Eucaryontenzelle übernahmen. Die zu Grunde liegende Theorie ist die so genannte Endosymbiontentheorie.

 

Frage zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Stoff:

Benennen sie weitere Formen der Symbiose, die Ihnen aus dem Zusammenleben von Bakterien und Menschen bekannt sind:

 

 

 

In der Medizinischen Mikrobiologie unterscheidet man außerdem noch zwischen einer Besiedlung und einer Infektion. Die Besiedlung kann im Rahmen einer Symbiose oder einer kommensalischen Beziehung zustande kommen, wobei durchaus auch pathogene Bakterien den Menschen besiedeln können, ohne das daraus eine Krankheit erwächst. Man spricht von transienter Besiedlung wenn es sich um eine zeitlich begrenzte Besiedlung handelt oder von der residenten Flora, wenn die Besiedlung von Dauer ist.

Von Infektion spricht man immer dann, wenn Erreger in den Makroorganismus eindringen und eine Immunreaktion auslösen. Wenn es zu einer Infektion kommt, der Makroorganismus aber nicht erkrankt sondern nur mit der Bildung von Antikörpern reagiert (Immunreaktion) liegt die sogenannte stille Feiung vor (verg. Impfung).

Kommt es nach der Infektion zu einer Erkrankung unterscheidet man zwischen manifesten und latenten Infektionen bzw. zwischen akuten oder chronischen Infektionen. Latente Infektionen sind solche, bei denen der Patient nach einer Phase klinisch manifester Symptome wieder Symptom-frei ist, den Erreger aber noch in sich trägt (verg. z.B. Tuberkulose). Die Latenz ist nicht dasselbe wie die Inkubationszeit! Infektionen können chronisch sein, wenn die manifesten Symptome über längere Zeit präsent sind.

 

Frage zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Stoff:

Welche anderen Infektionskrankheiten zeigen Latenzzeiten?

 

 

 

7.2.             Immunsystem, Infektionsprophylaxe bzw. antiepidemische Maßnahmen

 

Einführung in den Aufbau des Immunsystems des Menschen

Zur Infektionsabwehr verfügt der menschliche Organismus über drei Systeme: die unspezifische Infekt­ab­wehr, die spezifische Infektabwehr und das immunologische Gedächtnis. Die zweite und die dritte Verteidigungslinie richten sich immer nur gegen einen (spezifischen) Erreger. Im Gegensatz zur unspezifischen Infekt­ab­wehr werden die Leistungen der spezifischen Infektabwehr und das immunologische Gedächtnis durch den Kontakt mit den Erregern erst gebildet und moduliert, die speziellen Fähigkeiten sind also nicht angeboren sondern erworben. Angeboren sind nur die Grundlagen der spezifischen Infektabwehr!

 

7.2.1.        unspezifische Infektabwehr:

     Haut und Schleimhäute als natürliche Barrieren

            a.) mechanische Barriere

            b.) chemische Barriere über ungesättigte Fettsäuren, die von den Talgdrüsen der Haut abgegeben werden; sog. Säureschutzmantel

 

     physiologische Standortflora (die Keime die zur Normalbesiedlung gehören) treten mit fremden Keimen in eine Nahrungs- und Standortkonkurrenz und scheiden Antibiotika aus.

 

     mechanische Spüleffekte durch allerlei Körperflüssigkeiten wie Tränen, Speichel, Urin usw. Tränen und Speichel beinhalten Lysozym (natürlich vorkommendes Antibiotikum, das bevor­zugt auf Gram positive Keime wirkt und das Murein abbaut, dadurch bakterizider Effekt; siehe Zellwand).

 

     pH-Wert von Körperflüssigkeiten (Magensaft, Vaginalsekret usw.), die vielen Bak­terien zu sauer sind (Ausnahme sind z.B. Helicobacter pylorii im Magen oder Lactobacillen in der Vagina).

 

Hinzu kommen im Blut zirkulierende Granulozyten, Neutrophile etc. sowie Monozyten und Makrophagen, die, zunächst unspezifisch, ein­mal eingedrungene Erreger phagozytieren und abtöten können. Daraus resultieren Ent­zün­dungen! Entzündungen führen zu lokalen Temperaturerhöhungen die ihrerseits eine abwehrende Wirkung auf Bakterien haben. Darüber hinaus führen Entzündungen zur Freisetzung chemotaktischer Signale an Zellen des spezifischen Immunsystems.

 

7.2.2.        spezifische Infektabwehr

Das B-Zell-System trägt die humorale Immun­antwort. Jede B-Zell-Linie weist auf ihrer Oberfläche Antigen-Rezeptoren auf, welche die An­ti­gen­er­kennung vermitteln. Im Körper eines erwachsenen Men­schen krei­sen etwa 108 verschiedene B-Zell-Linien mit unterschiedlicher Antigen­er­kennung (Spezifität).

Wenn B-Lymphocyten über den Antigen-Rezeptor ein Antigen (Epitop) erkennen, erfolgt un­ter Mithilfe des T-Zell-Systems (s.u.) die Aktivierung und nachfolgend die Bildung und Sekretion spezifischer Antikörper (Ak). B-Zell-Klone, die aktiviert wur­den, differenzieren sich in Plasmazellen (starke Ak-Produktion) und Gedächt­nis­zellen (reagieren bei erneutem Antigenkontakt schnell mit der Bildung von Ak`s; Sekundärantwort, s.u.). Kommt das Immunsystem das erste Mal mit einem Antigen in Berührung, erfolgt die Pri­märantwort, während der nach einigen Tagen IgM-Moleküle gebildet werden (IgG spielen nur eine untergeordnete Rolle). Bei einem zweiten Kontakt reagieren die Gedächtniszellen und bilden sehr schnell hohe IgG-Titer im Serum (Sekun­där­ant­wort).

 

Das T-Zell-System ist der Träger der zellulären Immunantwort. T-Zellen werden nach dem folgenden Schema in Untergruppen unterteilt:

 

 

Tabelle 9: Grobeinteilung der T-Lymphocyten ohne Berücksichtigung von TH-Subpopulationen.

 

CD4+ oder T-Helfer-Zellen

CD8+ oder cytotoxische Zellen

Helfer- oder Induktorfunktion

cytolytisch oder Suppressorfunktion

[CD2+, CD3+, CD4+, CD8-]

[CD2+, CD3+, CD4-, CD8+]

Funktion:

Funktion:

B-Zelldifferenzierung

Killerzellen, lysieren Zellen nach Kon­takt (Porenbildung ähnlich des Kom­plement­systems)

Reifung von CD8+-cytolytischen Zellen

 

Makrophagenaktivierung

 

 

 

CD4+ und CD8+ Zellen liegen normalerweise im Verhältnis 2:1 vor. Bei der Immunschwächekrankheit AIDS verschiebt sich das Verhältnis durch den Ausfall der CD4+ Zellen (in denen sich das HI-Virus vermehrt) auf <<1:1. CD8+-Zellen übernehmen die Virusabwehr in körpereigenen Zellen!

 

T-Zellen sind ebenfalls in der Lage sich in Gedächtniszellen zu differenzieren, jedoch seltener und mit geringerer praktischer Relevanz als bei B-Zellen.

 

 

7.2.3.        Vorgänge während der Immunantwort

 

Phagozytierende Zellen (Leukozyten wie Monocyten oder Granulocyten) erkennen eindringende Mikroorganismen auf Grund bestimmter Oberflächenantigene. Nach Erkennung erfolgt die Phagocytose eingedrungener Bakterien (Abb. 24). Die Phagosomen verschmelzen mit Lysosomen zu Phagolysosomen in denen die Verdauung des Antigens stattfindet. Teile des Antigens werden dem zellulären Ast des Immunsystems mittels des Haupthistokompatibilitätskomplex (antigenpräsentierende Oberflächenmoleküle, englisch MHC für Major Histocompatibility Complex) präsentiert. Hierbei erfolgt die Antigen-spezifische Aktivierung von T-Zellen. CD4+-T-Zellen aktivieren daraufhin B-Zellen, wenn diese vorher ebenfalls Kon­takt mit dem Antigen hatten. Die B-Zellen differenzieren zu Plasmazellen und re­agieren dann mit der Bildung von Antikörpern. Einzelne Mikroorganismen haben die Fähigkeit entwickelt, der intrazellulären Abtötung zu entgehen (Abb. 24). Das intrazelluläre Überleben solcher Bakterien kann zur Bildung von Granulomen wie z.B. bei der Tuberkulose führen.

 

 

Abb. 24: Erreger werden von phagocytierenden Zellen erkannt und internalisiert (rechts). Die intrazelluläre Abtötung ist der erste Schritt in der Infektionsabwehr, während das intrazelluläre Überleben (links) zur Krankheit führen kann (z.B. à Tuberkulose; à Pathogenitätsfaktoren).

 

 

Mit Hilfe von Impfungen versucht man, die Primär- und Folgeantworten des Immunsystems auf einen gegebenen Erreger vorwegzunehmen. Ziel ist dabei die Vermeidung von Krankheiten und das Durchbrechen von Infektionsketten. Impfungen haben zumindest in den Industrienationen zu einem gewaltigen Rückgang der wichtigsten Infektionskrankheiten geführt und die Lebensqualität entscheidend verbessert (Überblick über die Entwicklung in den USA gibt: Dennehy PH (2001): Active Immunization in the United States: Developments over the past decade. Clin. Microbiol. Reviews 14(4):872-908). Durch die damit einhergehende höhere Produktivität der Bevölkerung haben sich Impfstoffe zu den Präparaten mit dem bei weitem besten Kosten-Nutzen Verhältnis entwickelt. (Informationen zu Impfungen und zum gültigen Impfkalender in Deutschland finden sich bei der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut:

http://www.rki.de/GESUND/IMPFEN/IMPFEN.HTM).

 

7.3.             Die Rolle von Pathogenitätsfaktoren bei der Krankheitsentstehung

Gelangen Mikroorganismen in den Makroorganismus (Infektion) so entscheiden die Pathogenitätsfaktoren der Bakterien über den Erfolg oder Misserfolg der Infektion (aus Sicht des Bakteriums: Besiedlung eines neuen Lebensraum, Vermehrung und Erhaltung der eigenen Art, im optimalen Fall weitere Verbreitung). Mikroorganismen weisen eine Reihe von Merkmalen auf, die es ihnen ermöglichen, diese Ziele zu erreichen. Diese Merkmale werden wegen ihres Potentials zur Auslösung von Immunreaktionen bzw. wegen ihres Potentials, dem Erreger das Überleben im Wirt zu ermöglichen Pathogenitätsfaktoren oder Virulenzfaktoren genannt (à Tabelle 9). Dies können sein:

 

Ø       Toxine (Exotoxine, Enterotoxine) werden von Bakterien ins Milieu abgegeben.

Ø       die Fähigkeit zum intrazellulären Überleben

Ø       Bestandteile der Zellwand/äußeren Membran, welche der Adhärenz und Invasion der Erreger an bzw. in Wirtszellen dienen.

Ø       sowie Merkmale oder die Fähigkeit, sich beispielsweise durch Bildung einer Schleimkapsel oder durch Bildung einer Kapsel aus wirtseigenem Material der Immunantwort des Wirtes zu entziehen.

 

In der Regel wirken mehrere Pathogenitätsfaktoren bzw. Eigenschaften zusammen, um die oben genannten Ziele der Mikroorganismen durchzusetzen.

 

 

Tabelle 10: Auswahl von Pathogenitätsfaktoren und -mechanismen bzw. die Pathogenität fördernder Eigenschaften bei Bakterien

 

Virulenzeigenschaften

Beispiel Erreger

Pathogenitätsfaktor

Neurotoxine

Clostridium botulinum

Botulinum-Toxin

 

Clostridium tetani

Tetanus-Toxin

 

 

 

Enterotoxine

Staphylococcus aureus

Enterotoxin A-E

 

Vibrio cholerae

Cholera-Toxin

 

 

 

Exotoxine

Prevotella spec.

 

 

Acinobacillus spec.

 

 

Streptococcus pyogenes

lysogene Phagen

 

Escherichia coli

Enterotoxin

 

Clostridium perfringens

mehrere Toxine

 

 

 

 

 

 

intrazelluläres Überleben

Listeria monocytogenes

in Monocyten

 

Mycobacterium tuberculosis

in Macrophagen

 

Chlamydia trachomatis

 

 

Mycoplasma pneumoniae

 

 

 

 

Endotoxin Freisetzung

Neisseria meningitidis

gram negative Erreger

 

 

 

Adhärenz

Yersinia entercolitica

Adhäsin

 

Salmonella enterica

Adhäsin

 

Streptococcus mutans

Adhäsine

 

Actinobacillus actinomycetemcomitans

 

Adhäsine

 

Prevotella spec

Bacteroides spec.

 

Adhäsine

 

Neisseria gonorrhoeae

Pili; opacity proteine (OPA)

 

Neisseria meningitidis

OPA?

 

 

 

Invasion von Wirtszellen

Shigella dysenteriae Neisseria gonorrhoeae

 

OPA

 

 

 

Abkapseln, Abszesse

Staphylococcus aureus

Koagulase/Clumping factor etc.

 

7.4.             Toxine als Pathogenitätsfaktoren

Übersicht über bakterielle à Toxine und deren Wirkung auf Zellen des Makroorganismus. Bakterielle Toxine weisen nicht selten zwei Untereinheiten auf (Abb. 25), eine Rezeptorbindende Domäne (ermöglicht die Anbindung an Oberflächenrezeptoren der Wirtszelle) und eine toxische Domäne, welche in der Wirtszelle die eigentlichen Effekte auslöst.

 

Beispiel: Choleratoxin (Abb. 25): Toxin aus zwei Untereinheiten (A1-A2 und B(5)). Die B-Untereinheiten stellen die Rezeptorbindende Domäne dar, die A1-A2 Untereinheit entfaltet die toxische Wirkung welche darin besteht, den intrazellulären cAMP-Spiegel zu stören und dadurch zu einer massiven Hypersekretion von Salzen und Wasser ins Dünndarmlumen zu führen (eine animierte PowerPoint Präsentation zur Toxinwirkung durch Klick auf den folgenden link starten: PowerPoint2003 Animation/PowerPoint 95 und höher Animation). Der dadurch entstehende Wasserausstrom kann verheerende Folgen annehmen, einzelne Patienten verlieren —unbehandelt— bis zu 20 l Wasser am Tag auf Grund dieser Durchfälle.

 

7.5.             Pathogenese der Salmonellose

Beispiel für das komplexe Zusammenspiel von Wirts- und Gastfaktoren für die Pathogenese von Erkrankungen ohne Beteiligung von toxischen Produkten der Bakterien. Die Infektion mit enteritsichen Salmonellen erfolgt in aller Regel über die orale Aufnahme der Bakterien, die, wenn sie die saure Magenpassage überstehen, über folgende Ereigniskette zur Entstehung des Durchfalls führen.

Ø       Adhärenz der Bakterien an Epithelzellen der Darmschleimhaut.

Ø       Durchwandern der Epithelzellen bis zur Lamina propria

Ø       Entzündliche Reaktion an der Infektionsstelle

Ø       Migration von polymorphkernigen Leukozyten zur Infektionsstelle

Ø       Ausschüttung von proinflammatorischen Substanzen (Prostaglandine)

Ø       chemotaktische Wirkung auf weitere polymorphkernigen Leukozyten und weitere Entwicklung der lokalen Entzündungsreaktion

Ø       Prostaglandinfreisetzung führt zur Rückresorption von Wasser ins Darmlumen und damit zum Durchfall

 

Der Durchfall stellt also eine Abwehrreaktion des Makroorganismus dar, welcher durch massive Ausscheidung des Erregers die Infektion zu kontrollieren versucht und dabei andererseits die weitere Verbreitung des Erregers sicherstellt. Im Ergebnis muss man daher eine sehr weitgehende Anpassungsleistung der Salmonellen an den menschlichen Organismus postulieren.

Die enteritischen Salmonellen selbst sind folglich nur ein Teil der manifesten Erkrankung, der andere Teil der manifesten Infektion ergibt sich aus der Abwehrreaktion des Makroorganismus selbst!

 

7.6.             Pathogenese der Parodontose

Eine ähnlich gelagerte Situation ergibt sich im Hinblick auf die Entstehung der Parodontose. In diesem Fall kommt den Erregern aber wahrscheinlich ein eigenes toxisches Potential zu. Die à Adhärenz der Erreger an die Zellen des Makroorganismus sowie die Ausschüttung von Toxinen stehen bei der Parodontose im Vordergrund. Als Reaktion auf diese Vorgänge gelangen polymorphkernigen Leukozyten zum Infektionsort wo sie eine Entzündung auslösen, welche wiederum zusammen mit den Toxinen den Knochenabbau begünstigt. Als Parodontoseerreger gelten zurzeit z.B. Actinobacillus actinomycetemcomitans und Prophyromonas gingivalis.

 

Die Pathogenese der Parodontose kann über sehr komplexe Wechselwirkungen beeinflusst werden, wie am Beispiel der Parodontose bei Kälbern in Brasilien erläutert wird. Hier wird die Entstehung der für die Kälber letalen Parodontose durch Umwelteinflüsse (Rodung und Veränderung des Mikroklimas auf Primärweiden) getriggert, die eine Veränderung der Maulflora und damit die Parodontose bewirken.

 

7.7.             Pathogenese von S. aureus Abszessen

Ein Beispiel für einen Erreger, bei dem die Wirkung von Exoenzymen und Zellwand-gebundenen Faktoren buchstäblich Hand in Hand zusammenwirken ist Staphylococcus aureus, ein vor allem in Kliniken gefürchteter Eitererreger, der als klassischer Erreger von à Abszessen, Furunkeln oder Karbunkeln gilt.

Nach Eindringen in die Haut erfolgt die Ausbreitung im Gewebe durch die Hyaluronidase (Exoenzym), welches Zell-Zell-Verbindungen aus Hyaluronsäure spaltet. Mit Hilfe seiner Pathogenitätsfaktoren kapselt sich dieser Erreger im Gewebe ein, in dem er eine Kapsel aus Fibrin um sich herum lagert, die vor dem direkten Zugriff der Immunantwort effektiv schützt. Beteiligt an diesem Prozess sind der Zellwand gebundene clumping factor und die freie Plasmakoagulase des Erregers. Der Makroorganismus reagiert mit der Bildung einer Entzündung um den lokalen Infektionsherd, was letztlich zum Abszess führt. Durch Fibrinolysin (Staphylokokken-eigenes Fibrinolysin = Staphylokinase), ein weiteres Exoenzym, ist der Erreger später in der Lage, sich aus dieser Kapsel zu „befreien“ und unter Umständen systemisch zu streuen.

 

7.8.             Pathogenese der Tuberkulose

Manifeste Infektionskrankheiten stellen also oft eine Kombination aus Toxizität des Erregers und daraus resultierender Immunantwort dar. Im extremen Fall ist die Immunantwort überwiegend für die Symptome verantwortlich. So ist der Erreger der Tuberkulose (M. tuberculosis) an sich kaum invasiv bzw. toxisch. Vielmehr entstehen die pathologischen Veränderungen im Lungengewebe durch die Wirkung der Abwehrzellen selbst (Abb. 26/27). Nach Inhalation gelangen die Erreger in die Alveolarmakrophagen der Lunge. Zwar werden die Mykobakterien phagocytiert doch haben sie die Fähigkeit, sich intrazellulär in den Makrophagen zu vermehren (à intrazelluläres Überleben). Im weiteren Verlauf der Tuberkulose gelangen weitere Zellen des Wirtes (CD4+ T-Helfer Zellen und Makrophagen) zur Stelle der Primärinfektion und bedingen so die Schäden am Lungengewebe (Granulome), die röntgenologisch sichtbar sind. Die Tuberkulose kann als latente Infektion vorliegen, in solchen Fällen kann es nach Jahren oder Jahrzehnten zu einer Reaktivierung kommen (oft im „Rentenalter“ auf Grund der nachlassenden Leistungen des Immunsystems).

Abb. 26: Erste Schritte in der Entstehung der Tuberkulose. Das Granulom, welches die Grundlage für spätere evtl. Lungenschäden bildet, dient eigentlich primär der Abwehr des Erregers. Diese Abwehr führt auch bei dem überwiegenden Teil der Patienten zur Kontrolle der Infektion. Bei einem Teil der Patienten entwickelt sich jedoch im weiteren Verlauf eine offene Tuberkulose:

 

Abb. 27: Entwicklung der offenen TB aus den Granulomen.

 

 

Frage zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Stoff:

Versuchen Sie an Hand von Lehrbüchern weiter Beispiele für Krankheiten zu finden, deren manifeste Symptomatik nicht alleine durch die Wirkung bakterieller Toxine zu Stande kommt!

 

 

 

Frage zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Stoff:

Studieren Sie in Lehrbüchern die Sepsis durch Gram-negative Bakterien und überlegen Sie, welche Rolle die Bakterien selbst in der Sepsisentstehung spielen und welche Faktoren des Menschen den Verlauf der Sepsis beeinflussen!

 

 

 

7.9.             The male killing bacterium

... eine besondere Form der Interaktion

Ursprünglich bei Marienkäfern hat man eine Bakterienart entdeckt, Wolbachia ssp., die als „Männer-mordendes“ Bakterium bekannt wurde.

Wolbachia lebt im Cytoplasma weiblicher Eizellen —einem im Vergleich zum Spermium ausgesprochen reichhaltigen Lebensraum— und hat diverse Strategien entwickelt, die Ausprägung des männlichen Geschlechts in einer befallen Art zu verhindern (Männchen sind für Wolbachia nutzlos, da sie sich in ihnen nicht weiter entwickeln können). Die Mechanismen reichen von der Feminisierung männlicher Embryonen durch Freisetzung eines antiandrogynen Hormons über das Abtöten männlicher Embryonen bis hin zur cytoplasmatischen Inkompatibilität, die Verhindern soll, das mit Wolbachia infizierte Männchen nicht infizierte Weibchen befruchten können. Kurz, Wolbachia unternimmt alles, um die Entwicklung eines Männchen in der befallenen Art zu verhindern und hat damit bereits eine Schmetterlingsart an den Rande der Extinktion gebracht. Wolbachia lebt vermutlich in einem Fünftel aller Insekten und wurde jüngst auch in Helminthen nachgewiesen.

Bei Helminthen wurde berichtet, dass eine Behandlung der Filarien mit Tetracyclin zum Absterben der Wolbachien und damit zu einer Störung der Entwicklung der männlichen Filarien führt. Die Methode wird unter dem Namen „Wolbachien-Depletion“ zurzeit näher untersucht und wird als ein möglicher Ansatz gesehen, dass Problem der parasitischen Wurminfektion in den Entwicklungsländern unter Kontrolle zu bekommen. Erste Feldversuche in Afrika zeigen positive Resultate. Patienten mit Onchocerciasis, ausgelöst durch den parasitischen Wurm Wucheria bancrofti, wurden mit Doxycyclin behandelt, um gezielt die Wolbachien in den weiblichen Filarien abzutöten. Im Effekt kam es zu einer Reduktion der Filarien bei den Patienten (siehe Hoerauf et al 2003).

 

(zur näheren Information siehe: Hörauf, A. (2002): Wolbachien – Zielstrukturen für eine neue Chemotherapie von Filariosen. BIOforum 4/2002:234ff und darin zitierte Primärliteratur

Hoerauf A, Mand S, Fischer K, et al (2003): Doxycycline as a novel strategy against bancroftian filariasisdepletion of Wolbachia endosymbionts from Wucheria bancrofti and stop of microfilaria production. Med. Microbiol. Immunol 192:211-216 [Zeitschrift z.B. in der Bibliothek des Hygiene-Instituts])