5.    Genetik: Besonderheiten der Bakteriengenetik

 

5.1.           Struktur der DNA

 

Grundsätzliche Kenntnisse über die molekulare Struktur der Nukleinsäure werden für dieses Kapitel vorausgesetzt. An dieser Stelle wird lediglich ein Kurzüberblick gegeben.

 

Der Träger der genetischen Information, die DNA (für engl. Deoxyribonucleic acid) ist in ihrer Grundstruktur bei allen Organismen sowie den Viren weitgehend identisch. Vier Basen repräsentieren den genetischen Code wobei jeweils drei Basen die Information für ein Triplett darstellen; ein Triplett codiert für eine Aminosäure. Die Basen liegen in Form von Nukleotiden vor, welche in spezifischer Weise verknüpft eine DNA-Doppelhelix ergeben. Innerhalb dieser Doppelhelix kommt es über Wasserstoffbrückenbindungen zu komplementären Basenpaarungen. Biologischer Sinn der Doppelhelix ist die Möglichkeit der semikonservativen Reduplikation, die es ermöglicht, das bei der Zellteilung beide Tochterzellen eine (zumindest theoretisch) identische Ausstattung an Erbgut erhalten. Mutationen, die in gewissen Abständen die DNA-Sequenz verändern, führen zu genetischer Variation und werden damit zum Motor für Anpassung, Adaptation und Evolution. Mutationen können ohne Folgen bleiben (z.B. weil eine Mutation die dritte Position in einem Triplett betrifft und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Aminosäuresubstitution führt), Mutationen können zum Nachteil des Individuum sein (z.B. letale Mutationen oder solche, welche die Fitness des Individuums reduzieren), oder sie können —entweder sofort oder bei einem Wechsel der Umweltbedingungen— dem Individuum einen Vorteil bringen (à siehe Antibiotikaresistenzen).

 

Die wesentlichen Unterschiede bezüglich des Erbgutes liegen bei Pro- bzw. Eucaryonten in der Organisation des Erbgutes. Neben nachstehenden Informationen zum grundsätzlichen Aufbau der DNA sind die weiteren Unterschiede in à Tabelle 6 (S. 29)  zusammengefasst:

 

Ø       Eucaryonten: Die DNA wird durch Histone (Histonproteine) stabilisiert. Diese Histone liegen in regelmäßigem Abstand vor. Der solchermaßen stabilisierte „DNA-Faden“ wird mehrfach spiralisiert so dass eine Kondensierung zu mikroskopisch sichtbaren Chromosomen erfolgt.

Ø       Procaryonten: Keine Chromosomen sondern Chromosomenäquivalent, d.h. der „DNA-Faden“ liegt als superspiralisierte Struktur vor. Es gibt weder Histone noch eine Bildung von Chromatin.

 

5.2.             Unterschiede zwischen der Eucaryonten- und Procaryontengenetik

 

Tabelle 7: Wesentliche Unterschiede zwischen den Pro- und Eucaryonten im Hinblick auf die Genetik:

 

Struktur

Procaryonten

Eucaryonten

 

 

Chromosomen

Chromosomen-Äquivalent, ringförmige DNA

echte Chromosomen

 

immer haploid

(haploide), diploid (tetraploid oder polyploid)

Vorkommen von Plasmiden

keine Plasmide

Genomgröße
(in bp)

2-4 x 106

109 und mehr

DNA Struktur

kein höherer Ordnungszustand

DNA auf Histonproteine aufgespult und superspiralisiert

 

 

genetische Regulation

Gen als funktionelle Einheit

Gene oft aus Introns und Exons aufgebaut

 

räumliche Trennung von Transkription und Translation

polycistronische mRNA

monocistronische mRNA

kein splicing

splicing der RNA

 

Neben den unten angesprochenen Unterschieden auf Ebene der Regulation der DNA bzw. genetischer Vorgänge bestehen noch weitere Unterschiede betreffend der Ribosomen und den an genetischen Prozessen beteiligten Enzyme. Ribosomen und die RNA-Polymerase stellen unabkömmliche, essentielle Bestandteile jeder Zelle dar, da sie eine zentrale Rolle in der Proteinbiosynthese spielen. Die Grundstruktur der beiden Komponenten ist jedoch unterschiedlich, wenn man Eu- und Procayronten vergleicht. Diese Strukturunterschiede erlauben es, die bakteriellen Strukturen gezielt durch Antibiotika zu hemmen ohne die entsprechenden eucaryontischen Strukturen in ihrer Funktion zu beeinträchtigen (verg. aber à Mutationen à Antibiotika-Resistenzen und à genetische Variabilität).

 

Eine gute Abhandlung über die strukturellen Besonderheiten der bakteriellen RNA-Polymerase und die Wirkung des Rifampicin gibt: Campbell et al (2001): Structural Mechanism for Rifampicin Inhibition of Bacterial RNA Polymerase. Cell 104:901-912.

Abb. 17: Unterschiede in der Struktur der Ribosomen von Bakterien (70S Ribosomen) und Eucaryonten (80S Ribosomen) im Hinblick auf die Ultrastruktur (Proteine, rRNA’s)

 

 

5.3.             Genetische Regulation

5.3.1.        Struktur der Gene und Transkription:

5.3.1.1.              Eucaryonten:

Ø       Gene bestehen aus Introns und Exons als alternierende subgenische Abschnitte (Abb. 18). Die Exons beinhalten die genetische Information für das Protein, die Introns sind nicht codierend und werden nachfolgend durch das à splicing aus der mRNA entfernt.

Ø       splicing der mRNA: Entfernen der Introns und Anhängen eines sogenannten poly-A tails à reife mRNA

Ø       monocistronische mRNA`s, d.h., eine mRNA codiert für ein einziges Protein.

Ø       Trennung von Transkription, splicing (im Zellkern) und Translation (im Cytoplasma)

Abb. 18: Organisation, Transkription und Reifung von eucaryontischen Genen bzw. mRNA`s. Nicht dargestellt sind mögliche posttranslationale Ereignisse auf Proteinniveau.

 

 

5.3.1.2.              Procaryonten

Ø       keine Unteilung der Gene in Introns und Exons (Kolinearität der Gene und Proteine, Abb. 19).

Ø       keine weitere Reifung der mRNA, diese wird sofort der Translation (Proteinsynthese) zugeführt.

Ø       procaryontische mRNA`s können polycistronisch sein, d.h. es werden mehrere, oft zu einer strukturellen Einheit gehörende Gene (à Operons) in einer mRNA zusammengefasst.

Ø       keine Trennung von Transkription und Translation: schon während der Transkription beginnen Ribosomen an der noch „unfertigen“ RNA mit der Translation.

Abb. 19: Organisation und Transkription von procaryontischen Genen bzw. mRNA`s. Nicht dargestellt sind mögliche posttranslationale Ereignisse auf Proteinniveau.

 

 

5.3.2.        Operons

(intelligent gesteuerte genetische Einheiten)

Mit Hilfe von Operons sind Bakterien in der Lage, schnell, flexibel und energetisch günstig ihren Stoffwechsel an neue Milieubedingungen zu adaptieren. Operons sind oft Substrat-kontrolliert, die Genprodukte kommen erst zur Expression, wenn das Substrat welches abgebaut werden soll, eine bestimmte Konzentration in der Zelle erreicht. Beispiel:

            lac-Operon

Das lac-Operon oder Laktose-Operon ist das Beispiel einer Kassette von Genen, deren Genprodukte eine funktionelle Einheit bilden (Zusammenwirken unterschiedlichster Proteine beim Stoffwechsel der Laktose: spezifisches Transportprotein = Permease, Transacetylase und ß-Galactosidase) und einer intelligenten Regulation durch das zu Zielsubstrat unterliegen. Der lac-Repressor, der das Operon in Abwesenheit von Laktose negativ reguliert, wird bei Ansteigen des intrazellulären Laktosespiegels durch Bindung der Laktose in seiner Konformation sterisch verändert und gibt das Operon so lange frei, bis die Laktose im Milieu wieder limitierend wird. Durch anklicken des folgenden link kann eine PowerPoint Animation zur Funktion des lac-Operons aufgerufen werden: PowerPoint2003 Animation/PowerPoint Version95 und höher Animation).

 

Abb. 20: Struktur bekannter Operons: ara-Operon (Arabinose-Stoff­wechsel) his-Operon (Histidin-Biosynthese) trp-Operon (Tryptophan-Biosynthese)

 

 

Allen genannten Operons ist gemeinsam, dass sie einer Regulation durch das Substrat unterliegen. Der genetische Mechanismus variiert dabei, das Grundprinzip ist aber vergleichbar.

Im Routinelabor nutzt man die unterschiedlichen Fähigkeiten der Bakterien bestimmte Kohlenhydrate oder andere Substanzen zu verstoffwechseln (à Stoffwechsel), um aus Untersuchungsmaterial angezüchtete Bakterien zu differenzieren (zu identifizieren). Bakterienarten haben i.d.R. ein für ihre jeweilige Art spezifisches Stoffwechselprofil, welches man mit Identifikationssystemen abprüfen kann. In Verbindung mit der äußeren Form der Bakterien und dem Färbeverhalten (à Zellwand) kann so eine Bakterienart identifiziert werden (siehe auch Kap. 1.2).

 

5.4.             Genetische Rekombination ...

... oder: „Bakterien haben Geschlechtsverkehr“!

Sexualität ist im Grunde nichts anderes als der Austausch und die Rekombination von Erbgut. Diese Vorgänge finden auch bei Bakterien statt und sorgen neben den Mutationen für eine stetige Veränderung und Durchmischung (Rekombination) des Erbgutes und damit für eine stetige Anpassung an sich ändernde Lebensräume. Dabei geschieht die Veränderung des genetischen Materials der Population (sogenannter gene pool) stetig und unabhängig von tatsächlich stattfinden Umweltbedingungen. Vielmehr wird die entstehende genetische Variabilität unter sich tatsächlich verändernden Umweltbedingungen bedeutsam (à genetische Variabilität).

 

5.4.1.        Konjugation

Austausch von Plasmiden (kurze, ringförmige DNA`s mit zusätzlicher genetischer Ausstattung wie z.B. Resistenzgene). Plasmide können innerhalb einer Population einer bestimmten Bakterienart weitergegeben werden oder sogar zwischen verschiedenen gram-negativen Bakterien. Modellcharakter hat der sogenannte F-Pilus (auch Sex-Pilus) bei E. coli. Über diesen F-Pilus übertragen F+-Bakterien das Plasmid auf F- Empfängerbakterien.

 

5.4.2.        Transduktion

Veränderung der Bakterien durch Bacteriophagen, diese transferieren entweder bakterielle DNA zwischen den Bakterien (klassische Transduktion) oder verändern Bakterien durch Einbau zusätzlicher Phagen-kodierter Gene (Lysogenisierung z.B. von Corynebacterium diphtherie (wird dann zum Toxinbildner) oder Streptococcus pyogenes (wird ebenfalls zum Toxinbildner)).              

 

5.4.3.        Transformation

ungerichtete Aufnahme freier DNA aus dem Milieu (DNA lysierter Mikroorganismen kann von einigen Bakterien wie Neisseria-Arten [u.a. Erreger der Gehirnhautentzündung und der Gonorrhoeae] aufgenommen werden). Hierbei treten unter Umständen Rekombinationsereignisse ein, welche die genetische Variabilität der Bakterien erhöhen.

 

Die beschriebenen Vorgänge dienen dem Austausch und der damit verbundenen Rekombination von Erbgut. Rekombination führt zur Erhöhung genetischer Variabilität. Genetische Variabilität ist Grundlage der Adaptation an wechselnde Umweltbedingungen und damit Motor der Evolution.

 

Frage zur eigenen Auseinandersetzung mit dem Stoff:

Überlegen Sie sich die praktische Relevanz welche die Weitergabe von Resistenzfaktoren über Plasmide in der Umwelt hat.

 

 

 

5.5.             Vorteile genetischer Variabilität — Anpassung an das Milieu

Genetische Einheitlichkeit stellt eine Sackgasse dar. Nur Populationen, die eine gewisse genetische Variabilität aufweisen können, sind in der Lage sich auf wechselnde Umweltbedingungen einzustellen (genetische Variabilität ist eine Eigenschaft von Populationen, nicht von Individuen, Abb. 21). Die mit genetischer Variabilität verbundene Anpassungsfähigkeit kann eine Eigenschaft der Population sein (unter optimalen Umweltbedingungen hält der gene pool der Population genügend Variabilität für eventuell wechselnde Umweltbedingungen vor). Bei schnellen und extremen Veränderungen in der Umwelt oder bei Besiedlung neuer Lebensräume stellt Anpassungsfähigkeit eine Individuelle Eigenschaft dar. Der unter veränderten Umweltbedingungen geeignete Ausschnitt aus dem gesamten gene pool sichert das weitere Überleben der Art bzw. ermöglicht die Konstanz der von den veränderten Umweltbedingungen betroffenen Population. Die sich mit diesen Fragen befassende Disziplin der Naturwissenschaften ist die Populationsgenetik. Populationsgenetische Vorgänge haben weit mehr als nur theoretische Bedeutung. Jede Besiedlung und jede Infektion des Menschen wie auch jeder lenkende Eingriff durch Antibiotika stellt einen Eingriff in die Populationsgenetik und –dynamik der betreffenden Bakterienpopulation dar.

Abb. 21: Beispiel für eine Bakterienpopulation unter optimalen Umweltbedingungen. Durch genetische Rekombination und Mutation sind insgesamt 8 (A-H) unterschiedliche Varianten in der Population vertreten. Alle Varianten haben unter den normalen Bedingungen eine vergleichbare Überlebenswahrscheinlichkeit.

 

Ein Wechsel der Umweltbedingungen führt zum Erlöschen der nicht an die geänderten Bedingungen angepassten Individuen. Varianten, deren individuelle Eigenschaft zu den neuen Umweltbedingungen passt, sichern die Arterhaltung und das weitere Bestehen der Population. Über die Zeit wird neue genetische Variabilität entstehen.

 

 

Die Folgen dieser Betrachtung werden am Beispiel der Antibiotikaresistenzen deutlich. In einer den Menschen besiedelnden Population von Bakterien, in der zufällig eines der Bakterien durch eine Punktmutation die Eigenschaft erwirbt, resistent gegen Rifampicin (first line Antibiotikum gegen den Erreger der Tuberkulose, M. tuberculosis) zu sein (z.B. Variante D in Abb. 21), sind zunächst einmal alle Bakterien mehr oder weniger vergleichbar gut an den aktuellen Lebensraum angepasst. Verändert sich das Milieu im Sinne eines ansteigenden Konzentration auf Grund einer Behandlung mit Rifampicin haben die durch Teilung entstandenen Tochterbakterien des resistent gewordenen Bakteriums einen erheblichen Standortvorteil und sind in der Lage, den Fortbestand der Population zu sichern. Während also der Großteil der Population auf Grund Unangepasstheit an die veränderten Umweltbedingungen ausgemerzt wird (Varianten A-C und E-H in Abb. 21), sichert eine Minderheit, die einen bestimmten Ausschnitt aus dem gene pool darstellt, das Überleben der Art. Man spricht von Selektion der am besten angepassten Variante. Vergleichbare Vorgänge lassen sich in vielen Fällen beobachten, wenn Antibiotika z.B. nicht in ausreichender Konzentration oder über einen ausreichend langen Zeitraum gegeben werden.

Von erheblicher Bedeutung ist, dass zumindest in einigen Fällen der Erwerb der Eigenschaft Antibiotika-Resistenz dem betreffenden Träger dieser Eigenschaft unter normalen Umweltbedingungen auch einen Standortnachteil verschaffen kann. So haben z.B. die Erreger der eitrigen Meningitis, N. meningitidis, unter Therapie mit Rifampicin einen eindeutigen Vorteil, wenn die Mutation zur Rifampicin-Resistenz vorhanden ist. Unter normalen Umweltbedingungen jedoch kehrt sich dieser Vorteil in einen Nachteil um. Die Resistenz-vermittelnde Mutation findet im Gen für die RNA-Polymerase statt. Durch diese Mutation wird zwar die Resistenz vermittelt, offenbar wird jedoch die Polymerase in ihrer Aktivität langsamer. Dadurch verlängert sich die Generationszeit der resistenten Erreger. Diese Veränderung ist zwar nur geringfügiger Natur, reicht jedoch aus, um im Rifampicin-freien Milieu dem Wildtyp, sprich empfindlichen Stamm unterlegen zu sein. Bringt man einen resistenten und einen empfindlichen Stamm von N. meningitidis gleichzeitig in eine Kultur ein, so kann man mit entsprechenden Methoden eine Verdrängung messen des resistenten durch den empfindlichen Stamm messen (Abb. 22). Dieser Verdrängungsmechanismus kann bewirken, dass bei Abwesenheit des Selektionsdruckes (sprich des Antibiotikums) in der Umwelt die empfindlichen Varianten zu ungunsten der resistenten gefördert werden. Entsprechende Veränderungen sind nach Umstellen des bevorzugten Antibiotikums in Krankenhäusern beschrieben worden.

Abb. 22: Nachteil Rifampicin resistenter N. meningitidis in einem Milieu ohne Selektionsdruck (ohne Rifampicin). A.) Resistente (offene Rechtecke) und empfindliche (schwarze Rauten) N. meningitidis werden getrennt in flüssigen Kulturen angezüchtet. Nach Bestimmung der Wachstumsdichte und Normalisierung zeigen die Kurven die Zunahme in der Zelldichte über 24 hrs bei gleicher Ausgangssituation. B.) Umrechnung der Daten aus A. auf die Anzahl der Generationen pro 24 hrs. C.) Ergebnisse eines Experiments, bei dem empfindliche und resistente N. meningitidis in gleicher Dichte zum Zeitpunkt 0 in eine flüssige Kultur eingeimpft wurden. Der Kurvenverlauf zeigt den Rückgang des resistenten Stammes, der ab dem neunten Kulturtag (bei täglichem Umsetzen) sichtbar wurde. Ab dem 18. Tag waren keine resistenten N. meningitidis mehr nachweisbar.